
Im Alltag als Reporterin bestätigen sich oft viele Vorurteile. Und manchmal werden sie auf den Kopf gestellt. Das passiert, wenn man Menschen wie den Castrop-Rauxeler Rapper FZ44 trifft. Seinen echten Namen will er übrigens nicht verraten. Auch nicht, wofür das FZ steht. Die 44 ist ein Hinweis auf die Postleitzahl von Castrop-Rauxel.
Der gerade einmal 20-Jährige trägt zu seinem weit geschnittenen weißen T-Shirt ein liebes Lächeln, eingerahmt von einem jugendlichen Bart. Eine Cap verdeckt seine blonden Haare. Sein Händedruck ist sanft. Unübersehbar hängt eine Kette mit einem riesigen Kreuz um seinen Hals. Hier steht kein Gangsterrapper im Proberaum an der Wartburgstraße 69.
Schüchtern ist FZ44 nicht. Er gießt Zitronen-Eistee in einen Bierkrug, lässt sich auf einen Stuhl im unordentlichen Proberaum fallen und beginnt sofort zu erzählen. Als Rapper dürfe man nicht introvertiert sein, sagt er. Im Rap gewinnt, wer sich präsentieren kann. Wer eine Meinung hat und diese nach außen zu tragen weiß. Die Rap-Gesten übt er vor dem Spiegel. „Real“ muss man sein. Authentisch. Wer nichts zu sagen hat, ist im Genre falsch, findet der 20-Jährige.
Frauen, Autos, Drogen, Waffen
Und was hat er zu sagen? In seinem meistgehörten Track „Weg“ will er „ein königliches Entrecôte, Goldbesteck und mich fühlen wie ein Bösewicht auf Bond-Niveau.“ Er will anders als seine Drogen konsumierenden Freunde und Bekannte sein, er „will nicht Nasen ballern, schlafen, ackern, schlafen, ackern, schlafen, ackern, ich will einen Pyjama designet von Balenciaga.“

Ja, Großspurigkeit gehört zum Rap, sagt FZ44. „Man hört die Arroganz in jeder Zeile. Ich bin ein Wolf und hab euch Köter an der Leine“, textet er in einem anderen Song. Rap-Klischees, wie Texte über Frauen, Autos, Drogen, Waffen und Männlichkeits- und Gangstergehabe gehörten dazu. Man dürfe solche Zeilen nicht zu wörtlich nehmen. Man müsse sich als Zuhörer bewusst sein, dass Rap eine Kunstform ist, in der es einerseits um Authentizität geht, in der es aber auch viele Übertreibungen gebe.
Er stellt klar: „Wenn man als Zuhörer nicht intelligent genug ist, zu differenzieren, liegt das Problem nicht beim Künstler oder in der Kunst, sondern bei einem selbst.“ Trotzdem merkt man seinen Texten eines an: Wenn er genau diese Klischees streift („Nathalie und Bella“), wirkt FZ44 am wenigsten authentisch. Die Texte wirken austauschbar, unpersönlich, passen nicht zum Jungen mit den blauen Augen, der aus gutem Hause stammt. Er hat diese Klischees nicht nötig, weil er am interessantesten ist, wenn er die Zuhörer in seine Gefühlswelt mitnimmt.
Jesus hat den drip
Und in dieser steht sein Glaube im Vordergrund. Per se nicht ungewöhnlich für einen Rapper, erklärt er. Anders als in den USA gebe es im Deutschrap aber wenige Christen, sondern mehr muslimisch geprägten Rap. „Für viele ist der Glaube auch eher ein Stilmittel als tatsächlich eine Glaubensüberzeugung. Das ist bei mir anders.“ Nach eigener Aussage fallen in etwa 50 Prozent seiner Lieder der Name „Gott“ oder „Jesus“. Aber wie passen Gangsterklischees und Christentum zusammen?
Dem Castrop-Rauxeler geht es in seinem Glauben um Reue und Vergebung, um das Kernkonzept, dass ein Gott auf die Erde kommt und für die Sünden der Menschen stirbt. Aus christlicher Perspektive betrachtet sind alle Menschen Sünder. „Du hast dieses Perfekte, Heilige. Und dann hat man als Kontrast sich selbst, der voller Fehler ist, in seiner Musik“, erklärt der Rapper. Gerade im Gegensatz von Rap und Religion geht er auf. „In der Kunst geht es um Kontraste, und das ist der ultimative Kontrast.“
Er wolle damit aber nicht relativieren, dass in seinen Texten Passagen vorkommen, die sein Gott „missbilligt“. Dazu gehören zum Beispiel Beleidigungen. Die Schimpfwörter in den Songs bleiben deshalb zahm. Auch Hochmut sei eine Sünde, sei gleichzeitig aber ein fundamentaler Bestandteil vom Hip-Hop.
Im Römerbrief ist die Punchline
FZ44 sagt: „Was ich mache, ist keine christliche Musik. Leuten, die ein gottesfürchtiges Leben führen wollen, würde ich von meiner Musik abraten.“ Er denkt dabei an den Römerbrief, Kapitel 14. Da geht es darum, dass es Leute mit einem starken und mit einem schwachen Glauben gibt. Unter religiösen Menschen empfiehlt der Rapper seine Musik nur an Menschen mit einem starken Glauben. Der Glaube schütze vor den schlechten Einflüssen.
All diese Gegensätze muss der 20-Jährige ständig mit sich verhandeln. Früher habe er unreflektiert typische Rap-Themen bedient. Früher, da war er 16. „Gott sei Dank sind diese Sachen nie rausgekommen“, sagt er jetzt über sein altes Material. Er ist stolz darauf, wie er sich weiterentwickelt hat. Ohne seine Religion sei das nicht möglich gewesen. Dabei ist das alles andere als üblich für einen jungen Erwachsenen. Denn religiös aufgewachsen ist der Rapper nicht. Erst vor etwa zweieinhalb Jahren habe er angefangen, sich intensiv mit Religion zu beschäftigen.
Religion im Rapgame
Wegen Corona verbrachte er viel Zeit mit sich allein. Außer über sich selbst nachzudenken, habe er nicht viel unternehmen können, erinnert er sich. Was dann den Ausschlag gegeben hat, kann er heute nicht mehr sagen. Eigentlich habe er davor nicht an Gott geglaubt, irgendwann sei er sich nicht mehr so sicher gewesen.
„Ich bin jemand, der dann wissen muss, was Sache ist. Also habe ich mir erst einen Koran und dann eine Bibel gekauft und gelesen.“ Danach lauschte er Vorträgen von Buddhisten und rabbinischen Juden. „Anfangs dachte ich: Die Schöpfungsgeschichte, die Sintflut, das geht gegen jeden wissenschaftlichen Konsens, das ist offensichtlich Quatsch. Aber diese Antwort hat mich nicht zufriedengestellt. Mir hat das keine Ruhe gelassen.“
Der Heiland ist die Hook
FZ44 ist ein Mensch, der gerne Recht hat. Er musste eine Antwort finden, die ihn zufriedenstellt, die ihm das Gefühl gibt, im Recht zu sein, sonst kränkt das sein Ego. Er hat schnell festgestellt, dass die wirkliche Antwort viel komplizierter ist. Also besorgte er sich noch mehr Bücher.
Seine Erkenntnis: „Ja, wissenschaftlich ist es nicht möglich, dass jemand von den Toten auferstehen kann. Aber es ist ein Trugschluss zu verneinen, dass Wunder existieren. Wenn es einen Gott gibt, der das Universum erschaffen hat, kann er dort auch Wunder vollbringen.“ Er vergleicht das mit einem Programmierer, der ein Spiel mit Regeln entwirft, an die sich die Spieler halten müssen und die er jederzeit ändern kann.
„Bin ich unterwegs auf dem richtigen Weg? Nein, aber immerhin, es ist mein eigener“, textet der 20-Jährige. Wenn man ihn kennenlernt, wird klar: Er weiß noch nicht, wer er ist. Das ist auch in Ordnung, schließlich ist er gerade einmal 20. Aber er ist intelligent und neugierig. Und nebenbei bemerkt kein zu verachtendes Jungtalent. Genau dieses Unfertigsein, das seine Persönlichkeit und seine Musik prägt, trägt er mit Selbstbewusstsein.