
Es sind Bilder und Erlebnisse, die einen mitnehmen, bewegen und betroffen machen. Wassermassen und Schlamm überrollen ganze Ortschaften. Autos werden mitgerissen, viele Menschen verlieren in den Fluten ihr Leben. Was die Helferinnen und Helfer in Erftstadt bei der Flutkatastrophe erlebt haben, geht an die Substanz.
Psychosoziale Unterstützung für Feuerwehrleute in Erftstadt
Um insbesondere für die Einsatzkräfte der Feuerwehr da zu sein, ist das Team der psychosozialen Unterstützung (PSU) des Kreises Recklinghausen nach Erftstadt gefahren. Mehr als 30 Aktive umfasst die PSU-Einheit, von denen jedes Mitglied ein offenes Ohr für ihre Kameradinnen und Kameraden hat. Jeder Einzelne leistete wichtige Arbeit.
Einer von ihnen ist der Hertener Berufsfeuerwehrmann Mike Huge, der mit Matthias Sump aus Gladbeck am Montag nach Erftstadt gereist ist. Sie sollten abschätzen, wie lange wohl wie viele Kräfte des PSU-Teams benötigt werden, um zu helfen. „Unser Auftrag war es, uns um die Einsatzkräfte zu kümmern“, erzählt der 49-Jährige.
Totenstille in den Orten
„Das ist eine ganz andere Hausnummer als der Einsatz in Wuppertal“, sagt er. Das Navi hat auf der Anfahrt versagt. Zu viele Straßen waren gesperrt, die Leitstelle führte die Einsatzkräfte an den Ort ihrer Bestimmung – durch eine Polizeiabsperrung hindurch. „Über uns kreisten Hubschrauber, Bundeswehrsoldaten waren unterwegs, Polizisten standen mit Hunden in den gesperrten Stadtteilen und schützten sie vor Plünderern“, erzählt Mike Huge. Die Häuser hatten Löcher in den Wänden. Meterhohe Tore sind von den Wassermassen herausgerissen worden. „Es herrschte Totenstille in den Orten. Alles war braun vom Wasser und den Wassermassen“, schildert der Westerholter.
Mike Huge und seine Kollegen haben sich an der Wache zu den Einsatzkräften gesetzt und sind über einfache Fragen wie „Was habt ihr so gemacht?“ oder einen gemeinsam getrunkenen Kaffee ins Gespräch gekommen.
Eine Person schilderte zum Beispiel, dass die Retter auf der Autobahn einen Wagen mit Kindersitz gefunden haben. Sie überlegten fieberhaft: Wo ist das Kind? Wo ist die Familie? Können wir sie suchen und wo sollen wir überhaupt anfangen? Zum Glück hat die Geschichte ein gutes Ende genommen. Die Familie konnte sich auf eine nahegelegene Brücke retten. Trotzdem beschäftigt diese Situation denjenigen, der sie erlebt hat: Wenig Schlaf und selbst in den Ruhepausen oder nachts kommen immer wieder die Bilder vor Augen. „Das könnten erste Anzeichen für ein Trauma sein“, sagt Mike Huge.
Viele Feuerwehrleute selbst betroffen
Ein weiteres Gespräch führte der Westerholter mit einem Feuerwehrmann, den das Unwetter selbst getroffen hat. Er war im Dienst, als die Wassermassen vom Himmel stürzten. Er wurde nach Hause geschickt, doch: kein Durchkommen mehr. Es ist noch unklar, ob er sein Haus verlieren wird. „Ich fand es schlimm, dass viele Feuerwehrleute selbst betroffen waren. Sie haben ihr Hab und Gut und zum Teil sogar Angehörige verloren. Sie waren nicht nur betroffen, weil sie einen ungewöhnlichen Einsatz erlebt haben“, erzählt der Psychosoziale Unterstützer.
Es hat ihn nachhaltig beeindruckt, dass die Rettungskräfte trotzdem ihren Job gemacht haben.
Aufräumen und Suche nach vermissten Menschen
Nach acht Stunden ging es wieder nach Hause. „Das war wichtig, um selbst einen klaren Kopf zu behalten“, sagt Mike Huge. Am zweiten Tag war der Feuerwehrmann mit seinem Bruder Peter Huge, der den Löschzug Westerholt führt, seinem Kollegen Siggi Klaas und Matthias Sump vor Ort. „An diesem Tag haben wir nochmal ähnliche Eindrücke gewonnen“, so Mike Huge. Vieles arbeitet in den Köpfen der Helfer. Einige haben ein Regenrückhaltebecken leergepumpt. Sie überlegten: Was sehen wir gleich, wenn das Becken leer ist? Finden wir noch Leichen vermisster Menschen? Wie sieht das aus, was uns da erwartet?
„Es ist wichtig, dass wir eine erste Entlastung schaffen, damit sich die Gedanken nicht im Kreis drehen. Wir zeigen Perspektiven auf, wie die weitere Zeit gestaltet werden kann“, erklärt der 49-Jährige.
Der Berufsfeuerwehrmann befürchtet allerdings, dass das Schlimmste für die Feuerwehrleute vor Ort noch nicht ausgestanden ist. „Was machen wir mit den Einsatzkräften, die die Anwohner in die zerstörten Gebiete zurückführen müssen? Helfern, die Menschen fassungslos zusammenbrechen sehen, ihre Schreie hören und ihre Tränen sehen?“ Auch dann gilt es da zu sein, empathisch zu reagieren und ihre Gefühle ernst zu nehmen und auch professionelle Hilfe zu vermitteln.
Viele Gespräche und Supervision
Auch für die PSUler ist das eine Belastung. „Unser Job ist es, das mit Abstand zu sehen“, erklärt Huge. Trotzdem sei es schon vorgekommen, dass man mit dem einen oder anderen Kollegen eine Träne verdrückt habe. Mitfühlen sei okay.
„Das Gute ist, dass wir im Kreis Recklinghausen in einem starken Team arbeiten“, sagt Mike Huge. Schon auf der Rückfahrt sprechen sie über das Erlebte. „Man telefoniert, redet, wenn man sich sieht, und trifft sich bei der Supervision“, erzählt er. „Es wird für die Tätigkeit Freizeit geopfert, Urlaub genommen und Dienstpläne werden umgeworfen. Auch Kreisbrandmeister Robert Gurk macht für uns alles möglich“, ist Mike Huge dankbar.