
Sie stand mitten im Leben, hatte den Kalender voller Termine, reiste regelmäßig ins Ausland, war topfit, kannte Krankenhäuser nicht von innen – zumindest nicht als Patientin. Deshalb hatte mit dieser traurigen Nachricht wohl niemand gerechnet: Rosy von Westerholt ist am Montagabend vollkommen unerwartet im Alter von 82 Jahren gestorben. Mit ihr verlieren Westerholt und Herten eine der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten.
Rosy von Westerholt war immer in Bewegung. Das Reisen auf alle Kontinente, am liebsten nach Asien, war ihre Leidenschaft, Asien ihre große Freiheit. So viel Luft musste sie schon als 25-Jährige zwischen sich und Westerholt bringen, um zu sich selbst zu finden. „Ich war eine Aussteigerin“, sagte Rosy von Westerholt über sich selbst.
Murmeln statt Ballkleid
Doch bevor es dazu kam, war sie ein stilles, schüchternes Kind. 1939 geboren, verbrachte sie einen Teil der Kriegsjahre im ländlichen Brandenburg. Standesgemäße Verpflichtungen wie Adelsbälle, die hin und wieder im Schloss stattfanden, gingen ihr quer. Rosy von Westerholt im Ballkleid und mit langen Satin-Handschuhen? Wer sie kannte, kann sich dieses Bild nur schwer vorstellen. Sie knickerte lieber mit Murmeln. Und weil sie im Schloss keine ebenbürtigen Gegner hatte, zog es sie oft ins Alte Dorf. Doch irgendwann wollte Rosy weg – weg aus allen Zwängen, weg aus Westerholt.
Drei Jahre in Asien gaben ihr Kraft
Ihr Vater, Egon Graf Westerholt, ließ sie ziehen – gegen Ratschläge von Familienmitgliedern. Drei Jahre lang blieb Rosy, drittes von vier Kindern im Hause Westerholt, ganz auf sich gestellt in Asien. 1967 kehrte sie zurück. „Diese drei Jahre haben mir Kraft gegeben“, erinnerte sie sich einmal. Ihr Motto: „Mach die Augen auf, die Welt ist so schön!“
Eine Ausbildung als Sport-Physiotherapeutin hatte sie bereits abgeschlossen, absolvierte nun Zusatzausbildungen und erhielt 1973 eine Festanstellung als Sportlehrerin am Ursulinen-Gymnasium in Dorsten, wo sie bis 1999 tätig war.
„Ich glaube ja an Wiedergeburt“
Ihr Werdegang als erfolgreiche Sportlerin begann mit den verschiedensten Disziplinen der Leichtathletik: Weit- und Hochsprung, Sprint, Kugelstoßen, Diskus, Speerwerfen. Vor allem der Speer hatte es ihr angetan. Beim „Schlossgeflüster“ verriet sie im Juni 2019 schmunzelnd: „Ich glaube ja an Wiedergeburt und dass ich zur Zeit der Nibelungen mit Speeren zu tun hatte.“
So vielseitig die Gräfin im Sport war, so erfolgreich war sie auch. Und das nicht nur lokal, sondern auch in Deutschland, Europa, weltweit. Ungezählte Titel und goldene Medaillen hat sie in ihrer langen Karriere errungen. Wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag wurde sie im März 2020 in Torun (Polen) Weltmeisterin im Kugelstoßen, holte sich zudem Bronze im Speerwurf.
Mitglied in vielen Vereinen
Daheim hatte sie sich eher dem Breitensport verschrieben: Auf sie als Trainerin hörten zwei Gymnastik- und zwei Qigong-Gruppen in Herten, Recklinghausen und Gelsenkirchen. Apropos daheim: Rosy von Westerholt gehörte vielen Vereinen an, war im August in den neuen Beirat des Heimatvereins gewählt worden, besuchte vor wenigen Tagen noch gemeinsam mit den Bürgertraber-Freunden das Benefiz-Pferd „Ignatz von Herten“, war aber auch mit ihren lebhaften Reisevorträgen gern gesehener Gast bei vielen Hertener Gruppen.
Gesundheit stand für Rosy von Westerholt an oberster Stelle. Ihr Rezept: wenig Fleisch, viel Gemüse, Sport natürlich und geistige Aktivitäten. Danach gefragt, ob es im Rückblick etwas gibt, was sie anders machen würde, sagte sie einmal verschmitzt und mit dem für sie typischen Blitzen in den Augen: „Ich bereue nichts. Ich würde wieder abhauen.“ Allerdings: Nach Westerholt ist die Weltenbummlerin immer wieder zurückgekehrt.