
2700 Kilometer. Das ist ein beachtlicher Anfahrtsweg zum Westerholter Markt. Doch er ist angekommen, in jeder Hinsicht. Muhammet Karagülmez, genannt Naz, hat vor 30 Jahren seine Heimatstadt Zonguldak im westlichen Teil der Schwarzmeerregion verlassen, um in Deutschland zu leben. Wie so oft ging es um Liebe. Von einem Blumenstand auf dem Westerholter Markt war da noch lange nicht die Rede. Der Weg von Zonguldak nach Westerholt war auch nicht leicht, ähnelte manchmal eher einem verschlungenen Pfad. Doch das hat Naz nicht aufgehalten. Er sagt: „Aufgeben, das mach‘ ich nicht.“
Diese Haltung, Glück sowie deutsche und türkische Freunde halfen ihm schließlich, den richtigen Weg einzuschlagen.
Seit 2003 fester Bestandteil des Marktes
Von März bis November steht Muhammet Karagülmez inzwischen immer samstags auf dem Westerholter Markt. Seit 2003 hat er hier einen festen Platz. Ruhig und freundlich berät der 52-Jährige seine Kundschaft, die sich bei ihm mit Schnittblumen und saisonalen Beet- und Balkonpflanzen versorgt. Dass er heute im Schatten der Martinuskirche steht, hätte er vor 30 Jahren selbst nicht gedacht.
1968 wurde Muhammet Karagülmez in Zonguldak geboren. Er machte seinen Schulabschluss und begann eine Schlosserlehre. Dann, 1989, lernte er Nazmye (daher der abgekürzte Name Naz) kennen und verliebte sich bis über beide Ohren. Das Problem war, seine Angebetete lebte in Deutschland, ist in Gelsenkirchen aufgewachsen. Sie war nur zu Besuch in der Türkei.

Ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland
Also beschloss Naz, mit Nazmye nach Deutschland zu gehen, ohne Deutschkenntnisse aber mit Schmetterlingen im Bauch. 1991 war für Muhammet Karagülmez ein wichtiges Jahr. Zuerst fand die Hochzeit statt, dann siedelte er Ende August nach Deutschland über.
„Damals musste man fünf Jahre in Deutschland gelebt haben, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen“, erzählt Naz. Ein Unding für das junge Paar. Naz fand für ein halbes Jahr eine Stelle im Gerüstbau, arbeitete in dieser Zeit auch in Scholven und hatte einen Arbeitsunfall, bei dem er einen Finger verlor. Naz war verzweifelt, konnte nichts erklären, weil er die Sprache nicht beherrschte. Er bekam Magenprobleme, musste ins Krankenhaus, die Aussichten waren trübe.
Friedhofsgärtner gibt entscheidenden Tipp
Bei einem Türkeibesuch lernte er einen Friedhofsgärtner kennen, der ebenfalls in Gelsenkirchen lebte und arbeitete. Er legte Naz nahe, es doch in diesem Beruf zu versuchen – ein Tipp, der Gold wert war, wie sich zeigen sollte. 1993 stellte Naz sich in der Gärtnerei vor und wurde genommen. Er machte seine Gärtnergesellenprüfung, die er 2001 bestand. Elf Jahre arbeitete er für das Unternehmen. „Dann kam die Firma in die Krise, und ich wurde mit einer Abfindung von 6900 Euro entlassen“, sagt Naz.

Wieder alles auf Anfang
Muhammet Karagülmez: „Ich hatte keine Lust mehr zu suchen“, erzählt er. „Ich habe die 6900 Euro als Startkapital genommen und mich selbstständig gemacht.“ Er ahnte nicht, was ihn erwarten würde. „Die ersten zwei Jahre waren echt schwer. Ich bin über die Friedhöfe gefahren, hatte keine Kunden.“
Dann kam wieder ein ehemaliger Kollege ins Spiel. „Ich könnte auf dem Markt in Gelsenkirchen-Bismarck Blumen verkaufen, sagte er.“ 81 Euro betrug Naz‘ Umsatz am ersten Tag. Er erinnert sich genau. Und er erinnert sich an den Geflügelhändler vom Bismarcker Markt. Der stand auch in Westerholt, berichtete, dass Naz es doch da auch mal versuchen könnte. Es klappte und ganz allmählich kam das Geschäft in Schwung.

Ärger mit der Katholischen Kirche
2005 eröffnete er gemeinsam mit seiner Frau einen Blumenladen in Bismarck. Doch das Glück blieb nicht ungetrübt. Nebenbei gab es Ärger mit der Katholischen Kirche, erzählt Naz. Sie untersagte ihm auf dem katholischen Friedhof in Bismarck zu arbeiten. Naz, der ja nicht so schnell aufgibt, klagte dagegen und gewann. Vier Jahre musste er prozessieren.
Auf der anderen Seite: In Westerholt lief zum Glück alles besser. „Hier ist die Atmosphäre ganz anders“, sagt Naz. „Ich bin hier immer gut aufgenommen worden.“ Auch auf dem hiesigen Friedhof habe es nie Probleme gegeben.

Frau kümmert sich um den Blumenladen
Seit 1999 hat Muhammet Karagülmez die deutsche Staatsbürgerschaft. Er fühlt sich rundum wohl, was vor allem an seiner Familie liegt. „Wenn man selbstständig ist, muss die Familie dahinter stehen“, sagt er. Besonders dankbar ist er seiner Frau, die ihren eigenen Beruf aufgab, um den Blumenladen zu führen. Auf seine beiden Kinder, die Schwiegerkinder und einen Enkel ist er stolz. Sein Sohn Umut (27) ist Filialleiter bei einer großen Discounter-Kette und selbst Vater des eineinhalbjährigen Hazal. Tochter Sanem (24) ist Bankangestellte und hat ein Studium begonnen.
Für Naz hat sich der Weg gelohnt. 2700 Kilometer von Zonguldak zum Westerholter Markt.