In Marl werden bald die Hebammen knapp Hilde Sylla: „Wir brauchen dringend Nachwuchs“

Redakteur
Ein Beruf für das Leben: Hebamme Hilde Sylla hält den kleinen Samuel in den Händen, der erst vor wenigen Tagen das Licht der Welt erblickt hat.
Ein Beruf für das Leben: Hebamme Hilde Sylla hält den kleinen Samuel in den Händen, der erst vor wenigen Tagen das Licht der Welt erblickt hat. © Thomas Brysch
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Es sind sicher an die 800 Kinder, die unter den wachsamen Augen und mit tatkräftiger Hilfe von Hebamme Hilde Sylla das Licht der Welt erblickt haben. Die 62-jährige Brasserterin mit 40-jähriger Berufserfahrung ist heute Kreisvorsitzende des Deutschen Hebammenverbands. Was sie umtreibt: „Viele meiner Kolleginnen sind alle Ende 50 oder älter, einige gehen bald in Rente, wir haben viel zu wenig Nachwuchs.“ Langfristig ist auch die Versorgungssicherheit in Marl in Gefahr.

Gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Friederike Adamek (57) aus Alt-Marl organisiert Hilde Sylla regelmäßige Treffen und Fortbildungen für die etwa 70 im Kreisverband organisierten Hebammen. Zehn von ihnen arbeiten in Marl. „Damit sieht es in unserer Stadt noch recht gut aus“, so Sylla. Zumal der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Marl eine Hebammenzentrale betreibt. Unter der Telefon-Nr. 02365/2077731 und natürlich auch online können werdende Mütter beim ASB einen ersten Beratungstermin vereinbaren.

Gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Friederike Adamek (57) aus Alt-Marl (l.) organisiert Hilde Sylla regelmäßige Treffen und Fortbildungen für die Hebammen im Kreis Recklinghausen.
Gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Friederike Adamek (57) aus Alt-Marl (l.) organisiert Hilde Sylla regelmäßige Treffen und Fortbildungen für die Hebammen im Kreis Recklinghausen.© Privat

In der Marler Paracelsus-Klinik werden etwa 500 Babys pro Jahr geboren, schätzt Hilde Sylla. Eine Hebamme ist nicht nur im Kreißsaal dabei, ihre Arbeit beginnt lange vor der Geburt. „Schon in der 7. Schwangerschaftswoche biete ich einen ersten Beratungstermin an“, sagt Hilde Sylla, die von 1982 bis 2011 im Krankenhaus arbeitete, jetzt aber nur noch freiberuflich tätig ist. „Es gibt Geburtsvorbereitungskurse, und es gibt Rückbildungskurse nach der Geburt.“ Da die Brasserterin zudem auch Heilpraktikerin ist, kann sie auch oft bei Schwangerschaftsbeschwerden helfen, zum Beispiel mit Akupunktur bei Rückenproblemen.

Noch immer gibt es in Deutschland die Zuziehungspflicht. Das heißt: Neben dem Arzt muss bei jeder Geburt im Krankenhaus auch eine Hebamme dabei sein. Arzt und Hebamme arbeiten dann als Team. „Eine normal verlaufende Geburt darf eine Hebamme auch alleine betreuen“, betont Hilde Sylla. Und: Noch immer werden zwei Prozent aller Kinder in Deutschland zuhause geboren. Dann ist die Hebamme allein vor Ort – oder wird von einer Kollegin unterstützt.

Mit Puppe und Plastikbecken erklärt Hilde Sylla im Geburtsvorbereitungskurs, wie die Babys zur Welt kommen.
Mit Puppe und Plastikbecken erklärt Hilde Sylla im Geburtsvorbereitungskurs, wie die Babys zur Welt kommen.© Thomas Brysch

Das Berufsbild von Hebammen ist also vielfältig und von hoher Verantwortung geprägt. Warum fehlt es dann an Nachwuchs? Ein Grund ist sicher die Bezahlung. 2.900 Euro brutto ist das Einstiegsgehalt einer angestellten Hebamme in Vollzeit. Die Perspektive: Laut Statistik liegt das Monatsbrutto aller Hebammen in Deutschland zwischen 3.400 und 4.400 Euro. Das ist eine überschaubare Summe für eine Frau, die heute immerhin ein duales Studium an einer Fachhochschule mit dem Abschluss Bachelor vorzuweisen hat. „Ich war vom ersten Tag an so begeistert und vereinnahmt von meinem Beruf“, erinnert sich Hilde Sylla: „Geld hat für mich anfangs keine Rolle gespielt.“

„Das Menschliche darf nicht verloren gehen“

Für den Job spricht immerhin die Flexibilität. Man kann im Krankenhaus ebenso freiberuflich wie festangestellt arbeiten, auch eine Kombination ist möglich. „Als Freiberuflerin kann ich meine Termine frei planen, so lassen sich Beruf und Familie prima vereinbaren“, ist Hilde Sylla überzeugt. Tatsächlich ist Hebamme einer der wenigen – fast – reinen Frauenberufe. Ja, es gibt auch Männer in diesem Beruf, aber den 24.000 Hebammen in Deutschland stehen nur circa 20 männliche Entbindungspfleger gegenüber.

Zu wenig Hebammen – das bedeutet Stress im beruflichen Alltag. „Für mich war der Job immer schön, nie belastend“, sagt Hilde Sylla, aber: „Es ist nicht gut, wenn im Krankenhaus eine Hebamme drei Geburten in einer Schicht erlebt.“. Deshalb hofft sie auf beruflichen Nachwuchs: „Wir wollen die Mütter individuell und in Ruhe betreuen, wir wollen mit den Familien ein gemeinsames Stück des Weges gehen, dafür brauchen wir neue Kolleginnen“, so die Hebammen-Kreisvorsitzende: „Wenn mehr Hebammen vor Ort sind, wird der Beruf auch wieder entspannter und attraktiver, das Menschliche darf nicht verloren gehen.“

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