
„Welche Blutgruppe haben Sie?“ Darauf können viele Bundesbürger keine Antwort geben. Gleichzeitig gerät das Thema immer wieder in die Schlagzeilen: Angeblich spielt die Blutgruppe zum Beispiel eine Rolle dabei, wie schwer Menschen am Coronavirus erkranken. Auch die optimale Ernährung soll von der Blutgruppe abhängen. Aber was hat es mit den Merkmalen A, B und 0 wirklich auf sich? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was sind Blutgruppen?
Die Blutgruppen A, B, AB und 0 stehen für unterschiedliche Blutmerkmale. Sie bestimmen maßgeblich, ob sich das Blut mit dem eines anderen Menschen mischen lässt. Die Einteilung geht auf den österreichischen Mediziner Karl Landsteiner zurück. Er konnte damit im frühen 20. Jahrhundert erklären, warum das Blut zweier Menschen bei Kontakt manchmal verklumpte, manchmal nicht. A und B sind Antigene, die auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzen. Blutgruppe AB hat beide dieser Merkmale, 0 dagegen keines davon.
Die Antigene bestimmen über die Antikörper, die das Immunsystem bildet: Der Körper produziert innerhalb des ersten Lebensjahrs Antikörper gegen jeweils die Antigene, die er nicht hat. Das ist für Bluttransfusionen entscheidend. „Wenn die Blutspende nicht zur Blutgruppe des Empfängers passt, kann es zu einer heftigen Immunreaktion kommen“, erklärt Dr. Christof Weinstock vom Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik Ulm. Die Folgen können lebensbedrohlich sein.
Was hat es mit den Rhesusfaktoren auf sich?
Diese Faktoren bezeichnen weitere Antigene, die sich auf den roten Blutkörperchen befinden. Das wichtigste davon ist das D-Antigen. Etwa 85 Prozent der Deutschen haben dieses Antigen, sie sind also Rhesus-positiv (abgekürzt RhD+). Wenn es fehlt (Rhesus-negativ), bildet der Körper unter Umständen Antikörper gegen das D-Antigen. Das kann bei Bluttransfusionen und in Schwangerschaften Probleme bereiten. Daher bekommen Menschen dieser Blutgruppe normalerweise Rhesus-negative Blutspenden. „Nur im Notfall würde man davon abweichen“, sagt Weinstock.
Neben dem AB0- und dem Rhesus-System gibt es noch 36 weitere Blutgruppensysteme. „Wir kennen 365 Oberflächenmerkmale der roten Blutkörperchen“, sagt Weinstock. Doch sie spielen bei Bluttransfusionen normalerweise keine große Rolle. „Die AB0-Zuordnung muss stimmen. Das ist extrem wichtig, sonst kann das tödliche Folgen haben.“
Was bedeutet der Rhesusfaktor für Schwangere?
Schwangere Frauen, die Rhesus-negativ sind, werden bislang in der Regel vorsorglich mit Anti-D-Immunglobulinen behandelt. Wenn das Kind Rhesus-positiv ist, könnte die Mutter sonst Antikörper bilden, die für das Baby gefährlich sind. Inzwischen gibt es einen Test, mit dem Schwangere den Rhesusfaktor des Kindes bestimmen lassen können. Wenn das Baby auch Rhesus-negativ ist, ist eine Behandlung nämlich überflüssig.
Muss man seine Blutgruppe kennen?
Das ist nicht unbedingt nötig. „Es schadet natürlich nicht, wenn man sie weiß“, sagt Weinstock. „In der Praxis hat das aber keine Bedeutung.“ Denn vor jeder Transfusion werden die Blutmerkmale ohnehin im Labor bestimmt. Dennoch kann es interessant sein, Bescheid zu wissen: Die Angaben findet man zum Beispiel im Blutspenderausweis oder im Mutterpass.
Welche Blutgruppen sind hierzulande am häufigsten?
Die Merkmale A und 0 sind in Deutschland am häufigsten, die allermeisten Menschen sind zudem Rhesus-positiv. Etwa 37 Prozent der Bundesbürger haben die Blutgruppe A Rh+, gefolgt von 0 Rh+ mit 35 Prozent. Am seltensten ist die Blutgruppe AB Rh- mit nur einem Prozent. „Innerhalb Europas ist die Verteilung relativ ähnlich“, sagt Weinstock. Es kann kleine Abweichungen geben: Im Baskenland sei Rhesus-negativ häufiger, in der Türkei die Blutgruppe B. Weltweit gibt es deutlichere Unterschiede. „In Bangladesch ist zum Beispiel die Blutgruppe B sehr häufig“, erklärt der Experte.
Ist eine Transfusion nötig, kann es bei seltenen Blutgruppen schwierig sein, passende Blutprodukte zu finden. „Im Notfall können wir Patienten mit Blut der Gruppe 0 versorgen.“ Denn Spenden mit dem Merkmal „0 Rh-“ werden normalerweise von jedem vertragen. Daher gelten Menschen mit dieser seltenen Blutgruppe als „Universalspender“. „Wir freuen uns sehr, wenn jemand mit diesen Merkmalen zum Blutspenden geht“, sagt Weinstock. „Aber wir brauchen die anderen Spender natürlich auch.“ Schwierig wird es, wenn Menschen mit der extrem seltenen Blutgruppe „Bombay“, die auf einem Gendefekt beruht, eine Transfusion brauchen: Sie vertragen nur Spenden ihrer eigenen Gruppe. „Da ist nie etwas vorrätig“, sagt der Experte. „Wenn man die Zeit hat, würde man in dem Fall versuchen, national oder international passende Produkte aufzutreiben.“
Sind Menschen mit bestimmten Blutgruppen anfälliger?
So kann man das nicht sagen. „Man weiß, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 gegenüber A seltener schwer an Malaria erkranken“, sagt der Transfusionsmediziner. „Außerdem ist bei A und B die Konzentration von Gerinnungsfaktoren höher als bei 0.“ Das ist ein Vorteil bei Verletzungen, da der Blutfluss schneller versiegt. Andererseits steigt dadurch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) kann die Blutgruppe auch einen Einfluss auf eine Coronavirus-Infektion haben. Sowohl die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, als auch die Schwere der Symptome seien davon beeinflusst. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit bewertet die aktuelle Studienlage diesen Faktor jedoch als sekundär.
Sollte sich die Ernährung nach der Blutgruppe richten?
Nein. Der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zufolge ist der gesundheitliche Nutzen von Blutgruppendiäten nicht bewiesen. Die Theorie dazu stammt von dem amerikanischen Naturheilkundler Peter J. D’Adamo. Er ging davon aus, dass der „0-Typ“ als Jäger eher ein Fleischtyp sei, der „A-Typ“ Landwirt und daher Vegetarier. Den „B-Typ“ erklärte er als Nomade zum Allesesser und den „AB-Typ“ zum Mischköstler. Eine entsprechende Ernährung werde besser vertragen und sorge für mehr Wohlbefinden sowie eine schlankere Taille.
Warum ranken sich um das Thema Blutgruppen so viele Mythen?
Das ist unklar. „Blut ist ein ganz besonderer Saft, es hat Menschen schon immer fasziniert“, sagt Weinstock. Schon im 17. Jahrhundert haben Ärzte erste Transfusionsversuche unternommen, da früh klar war, dass Blut Leben bedeutet. Nachdem Karl Landsteiner das AB0-System entdeckt hatte, war das Thema Blutgruppen im frühen 20. Jahrhundert „en vogue“.

„Man versuchte damals, alles Mögliche auf Blutgruppen zurückzuführen – von der Kriminalität bis hin zur Defäkationsdauer, also, wie lange jemand auf der Toilette braucht“, berichtet Weinstock. In Japan ist auch heute noch die Blutgruppendeutung beliebt: Wie hierzulande beim Horoskop werden den Gruppen unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeschrieben.
RND